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Die Schönheiten des Geschlechts

Intersex im Dialog

Erschienen am 12.04.2018, 1. Auflage 2018
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593508887
Sprache: Deutsch
Umfang: 423 S., ca. 100 farbige Abbildungen
Format (T/L/B): 2.8 x 24.6 x 18 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Jenseits der Geschlechtergrenzen Intergeschlechtlichkeit hat es immer schon gegeben, doch handelt es sich um ein vielen unbekanntes Phänomen. Intersex ist ein Oberbegriff für angeborene Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale. Lange Zeit wurden Intersexformen durch medizinische und psychologische Eingriffe unsichtbar gemacht. Seit 2013 sieht das deutsche Personenstandsrecht vor, dass der Geschlechtseintrag bei einem Kind mit nicht bestimmbarem Geschlecht offenbleiben muss. Dieses Buch trägt Erfahrungswissen und Fachwissen transdisziplinär zusammen. Die Skulpturen von Fabian Vogler und Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstler zeigen die Schönheiten geschlechtlicher Variationen und reflektieren aktuelle Fragen und wissenschaftliche Kontroversen. Mit Beiträgen von Georgiann Davis, Arne Dekker, Michael Groneberg, Uwe Haupenthal, Peter Hegarty, Alex Jürgen, Uta Kuhl, Konstanze Plett, Manfred Reuther, Almut Rudolf- Petersen, Volkmar Sigusch, Ilka Quindeau, Silvia M. Ventosa, Lucie Veith, Heinz-Jürgen Voss, Kathrin Zehnder u. a.

Autorenportrait

Katinka Schweizer, Dr. phil. ist Sexualwissenschaftlerin, Psychologische Psychotherapeutin und Dozentin in der psychotherapeutischen Aus- und Weiterbildung. Sie absolvierte ihren Master of Science in Sozialpsychologie an der University of Oxford. Fabian Vogler ist Bildhauer und Bronzeplastiker. Er studierte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien Bildhauerei und absolvierte seinen Master of Fine Art an der University of East London.

Leseprobe

Ilka Quindeau VORWORT Nicht nur die Kunst, auch das Recht eilt einmal mehr der Wissenschaft voraus. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Intersexualität vom Oktober 2017 wurde der dichotomen Zweigeschlechtlichkeit nun auch höchstrichterlich eine Absage erteilt. Die Gesetzgebung wurde aufgefordert, die bislang auf der Binarität der Geschlechter basierende Rechtsordnung zu verändern und ein drittes Geschlecht aufzunehmen oder aber gänzlich auf das Geschlecht als Merkmal des Personenstands zu verzichten. Um nicht neuen Ungleichheiten und damit einhergehenden, nahezu unvermeidlichen Diskriminierungen Vorschub zu leisten, erscheint letztere Option angemessener. Man darf gespannt sein, wie sich die gesellschaftliche Debatte in dieser Frage entwickelt, und hoffen, dass es in Zukunft Menschen und nicht nur Männer und Frauen gibt, die ihre Identität in scharfer Abgrenzung von Anderen ausbilden. Bereits Freud betont in seiner Vorlesung über die Weiblichkeit aus dem Jahr 1933: "Männlich oder weiblich ist die erste Unterscheidung, die Sie machen, wenn Sie mit einem anderen menschlichen Wesen zusammentreffen, und Sie sind gewöhnt, diese Unterscheidung mit unbedenklicher Sicherheit zu machen". Und er führt fort, dass die anatomische Wissenschaft diese Sicherheit nur begrenzt teile, denn es finden sich Teile des männlichen Geschlechts auch am Körper der Frau und umgekehrt: "als ob das Individuum nicht Mann oder Weib wäre, sondern jedesmal beides, nur von dem einen so viel mehr als von dem anderen". Doch Freuds elaboriertes Konzept einer konstitutionellen Bisexualität fand keinen Eingang in den Mainstream der psychoanalytischen Theoriebildung, die schon bald von einer eindeutigen Geschlechtsidentität ausging. Auch Jean Laplanche, der französische Psychoanalytiker, hinterfragt diese Eindeutigkeit und weist darauf hin, dass fast alle Fallgeschichten in der Psychotherapie mit der Feststellung des Geschlechts beginnen, etwa "Es kommt ein 30-jähriger Mann." oder "eine Frau von 25 Jahren klagt über.". Erstaunt fragt er: "Ist das Geschlecht wirklich so konfliktfrei, dass man es gleich zu Anfang unhinterfragt annehmen kann?" (2011: 169). In einer Zeit, in der es bei Facebook über 50 verschiedene Geschlechterkategorien gibt, unter denen man sich registrieren lassen kann, kann man sich dem Staunen von Laplanche nur anschließen. Falls sich überhaupt jemals eindeutig definieren ließ, was männlich oder weiblich, was ein Mann oder eine Frau ist, erscheint dies inzwischen wie die >Trockenlegung der Zuyderzee<. Doch trotz oder neben all dieser Ambiguität, der Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten der Geschlechtsidentität lässt sich gegenwärtig auch eine Renaissance der Geschlechterdifferenz beobachten. Ungezählte Forschungen befassen sich mit Geschlechtsunterschieden und schon für Säuglinge ist die Welt klar in blau und rosa geschieden. Noch vor der Geburt werden Kinder geschlechtsspezifisch als Junge oder Mädchen adressiert, sie wachsen in eine von der Zweigeschlechtlichkeit strukturierte Welt hinein. Im vorliegenden Band wird diese Selbstverständlichkeit auf originelle, kenntnisreiche und überzeugende Weise hinterfragt. Wissenschaftliche Aufsätze finden sich ebenso wie Essays und Erfahrungsberichte. Deutlich wird, wie kreativ die Infragestellung der Heteronormativität sein kann und Zwischenräume produktiv werden. Bereichernd ist dabei insbesondere die Begegnung von Kunst und Wissenschaft, verkörpert in den Herausgeber*innen Katinka Schweizer und Fabian Vogler. Die Skulpturen eröffnen einen spannenden Reflexionsraum, der beispielsweise so divergente Materialien wie Pergament und Bronze verbindet. Die Widersprüche von Hauchzartem, Transparentem und Metallisch-Grobem, Undurchdringlichem werden nicht aufgelöst, sondern in den Plastiken amalgamiert und setzen unterschiedlichste Gedanken und Empfindungen frei. Unter dem Titel Involucrum wird das Pergament zu Formhüllen gestaltet. Sie dienen dem bronzenen Torso Ndujia und Torso C